ANATEVKA–Premiere: Ein voller Erfolg bei stroemendem Regen

ANATEVKA–Premiere: Ein voller Erfolg bei stroemendem Regen

Als wäre es nichts Außergewöhnliches spielte das Ensemle bei extremen Bedingungen und begeisterte das im Trockenen (bis auf die ersten Reihen) sitzende Publikum. Diese Leistung wurde mit tosendem Applaus belohnt!

Michael Schanze ist „Tevje, der Milchmann“ in ANATEVKA auf der Bühne der Stiftsruine in Bad Hersfeld in diesem Festspiel-Sommer.

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe und überraschte viele.

Die meisten kennen Michael Schanze als den Moderator, Entertainer und Sänger aus dem Fernsehen. Viele erinnern sich an seine Kindersendungen oder die Michael-Schanze-Show oder seinen Auftritt mit der Fußball-Nationalmannschaft. Die wenigsten haben es vergessen, auch wenn es, wie Schanze selbst sagt, „30 Kilo früher“ war. Aber viele wussten nicht, dass Schanze seit Jahren mehr Theater spielt, als TV-Shows zu moderieren oder Konzerte zu geben.

Der ausgebildete Schauspieler, Sänger und Musiker ging trotzdem – oder gerade deshalb – mit großem Respekt an die die Rolle des „Tevje“ in ANATEVKA und in die Proben heran, die seit Mitte Mai laufen.

In den Hauptproben konnte man sich ein erstes Bild machen. Er betritt die Bühne und seine Augen blitzen. Freude und Kummer in „Tevjes“ Leben vermittelt er ebenso glaubwürdig wie dessen Humor und Schalk und die Liebe zur Tradition, aber auch zu den Töchtern. Schanze ist präsent, spielt und singt überzeugend und zeigt wieder einmal mehr, dass er ein Multitalent ist.

Auf der Bühne ist Marianne Larsen seine Ehefrau „Golde“.  Die sympathische und lebenslustige Dänin ist dem Musical-Publikum in der Mitte Deutschlands spätestens, seitdem sie 2010 die Norma Desmond/SUNSET BOULEVARD in Magdeburg gespielt hat, bekannt.  Als Musicaldarstellerin hat sie sich aber schon viel früher einen Namen gemacht, nachdem sie zunächst auf Opern spezialisiert war und viele Konzerte gab (u.a. mit Luigi Nono).

Sie und Michael Schanze sind das ideale Bühnenpaar; beide hervorragende Sänger und Schauspieler und beiden nimmt man die Rollen ab. Und so berührt es tief, wenn sie sich in einem Song das erste mal, seitdem sie vor 25 Jahren ungefragt miteinander verheiratet wurden, fragen: „Ist es Liebe …“. Als beide den Song erstmals in einer Matinée in Bad Hersfeld öffentlich sangen, stieg manchem Gast im Publikum das Wasser in die Augen.

Auch die Töchter und potentiellen Schwiegersöhne werden von nicht weniger begabten Sängerinnen und Sängern gespielt. Und so wird auch hier jeder Song zum Ohrwurm und das Publikum erinnert sich am Ende nicht nur an das berühmte „Wenn ich einmal reich wär …“, sondern sicher auch an das Lied der Töchter an „Jente, oh Jente …“  die Heiratsvermittlerin, die den richtigen Mann finden soll; einen Mann, den die Mädchen lieben und nicht den, den die Eltern aus Tradition wegen des Geldes oder der Religion auswählen.

Jeder Song sitzt. Das Festspiel-Orchester, unter der Leitung des neuen musikalischen Leiters Kai Tietje, begleitet in gewohnt hoher Qualität und immer live.

„Konservenmusik“ ist verpönt. Playback gibt es nicht. Jeder Abend, jede Vorstellung wird wieder eine Herausforderung an Musiker, Sänger und deren Stimmbänder. Bei Sonne und bei Regen, denn während das Publikum bei schlechtem Wetter trocken unter dem berühmten „Faltdach“ von Frei Otto sitzt, müssen die Schauspieler ohne Dach auskommen. Freilichttheater ist Freilichttheater!

Regisseur Stefan Huber und alle Mitwirkenden haben sich intensiv mit der Zeit um 1905, den Bräuchen und dem Thema Tradition auseinandergesetzt und versuchen ein authentisches, aber entstaubtes Bild auf die Bühne zu bringen. Es werden Gebetsschals getragen und die Russen sehen aus wie Russen am Anfang des letzten Jahrhunderts; alles mit viel Liebe zum Detail und dem Wunsch, keine Folklore, sondern ein authentisches Bild anzubieten.

Kostümbildnerin Susanne Hubrich und Bühnenbildner Stefan Prattes ist es gelungen, die Vorstellung des Regisseurs zu verwirklichen.

Stefan Huber erläuterte am Sonntag auf dem Podium in der Schilde-Halle in einer der interessanten Veranstaltungen im Rahmenprogramm der 62. Bad Hersfelder Festspiele, woran ihm außerdem liegt.

Er möchte ein ANATEVKA, das nicht in Betroffenheit oder Klischees stecken bleibt.

Nach dem Vortrag* von Kristin Platt vom  Institut für Diaspora- und Genozidforschung an der Ruhr Universität Bochum über das Thema „Jüdische Traditionen“ sagte Huber, in seiner Inszenierung solle weniger die Stigmatisierung von Juden über die Jahrhunderte thematisiert, sondern eher die Frage gestellt werden, wie sich Gemeinschaften bilden und wie der Zusammenhalt aufrecht erhalten wird.

Er und die Wissenschaftlerin waren sich schnell einig: Tradition in der jüdischen Tradition war und ist, dass sich die Tradition ständig den Gegebenheit angepasst hat und anpasst.

Das Stück sei eine offene Frage nach Zusammenleben mit Menschen und Gruppen, die „anders“ sind, die möglicherweise auch stark polarisieren.

Vielleicht ist es deshalb immer noch und immer wieder aktuell.

ANATEVKA 
(FIDDLER ON THE ROOF)

Basierend auf den Geschichten von Sholem Alejchem mit ausdrücklicher Genehmigung von Arnold Perl. Buch von Joseph Stein, Musik von Jerry Bock, Gesangstexte von Sheldon Harnick. Deutsch von Rolf Merz und Gerhard Hagen.

Regie: Stefan Huber

Dauer ca. 2:20 Stunden

Stiftsruine

Bad Hersfeld

 

Kartenzentrale

Am Markt 1

36251 Bad Hersfeld

Telefon 06621 400755

Telefax 06621 400770

bad-hersfelder-festspiele

M.Kittner

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