Zeit für etwas Neues

Nie habe ich auf meine Ernährung geachtet, und lange Zeit war es auch nicht notwendig. Ich bin nicht dick, habe kein Diabetes, mein Körper ist bis auf ein paar Kleinigkeiten gesund. Das dachte ich jedenfalls. Ich esse und trinke gut und gern, was mich in gewisser Weise „mächtiger“ gemacht hat. 55 Jahre essen was schmeckt, trinken was Spaß macht. Es ist Zeit für etwas Neues.

Ich sitze hier in einem Seminarraum, um mich herum lauter Dicke. Männer und Frauen beiderlei Geschlechts, die alle viel korpulenter sind als ich. Nein, wirklich, ich bin nicht dick. Ich habe nur schwere Knochen. Mein Waschbärbauch ist nur das Fell, darunter das sind alles Muskeln und Samenstränge. Und die Waage lügt sowieso. Die Dinger werden von der Industrie gezielt so konstruiert, dass sie immer zu viel anzeigen. Und dann erzählen sie uns, dass wir gefälligst ein Standardgewicht haben sollen. Damit wir bloß für teures Geld diese labberigen Gesundheitsdrinks kaufen. Bäh, eklig!

Halt, nein, falsch.

Ich sitze mitten in einer typischen Muckibude. Um mich herum lauter Goldkettchenträger mit Testosteronüberschuss, und alle sehen aus wie aus dem Sportmagazin. Mit stumpfem Blick und vermutlich ebenso leerem Hirn pumpen sie Gewichte, dass die Schwarte kracht. Der Bizepsumfang ist alles, was zählt. Bald sehe auch ich so aus wie Captain America, doch im Moment fühle mich wie Steve Rogers bei der Musterung. Nein, sie alle sind nicht übergewichtig, sie müssten gar nicht hier sein. Sie sehen toll aus, das sind alles Muskeln, besonders die am Waschbärbauch. Außer den Haaren natürlich. Ach so, und schwere Knochen. Nee, stopp, auch falsch. Alles falsch.

Zurück auf Null . . . R E S T A R T . . .

Nachdem ich jetzt hoffentlich alle Klischees der Branche verarbeitet habe, nun also nochmal von vorn, aber diesmal richtig. Ich sitze im Seminarraum eines Gesundheitszentrums mit dem Namen „fit + fun“. „Der Name ist Programm“, versichert uns Toni. Er sei kein „Ernährungsberater“, erklärt er gleich zu Beginn, denn diesen geschützten Begriff darf in Deutschland nur jemand verwenden, der den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung folgt. Gemäß dieser Richtlinien sind zum Beispiel sechs Mahlzeiten am Tag zwingend vorgeschrieben. Toni sieht das anders, daher nennt er sich auch nicht Ernährungsberater, sondern Ernährungscoach. Er lehrt kein Standardkonzept, sondern geht auf die individuellen Bedürfnisse seiner Kunden ein. Aber ich will nicht vorgreifen.

Antonio Rega
Antonio Rega

Antonio Franz Rega, wie Toni mit vollem Namen heißt, ist gelernter Koch. Er gibt unumwunden zu, dass er einst selbst übergewichtig war. Auch Toni isst gut und gern. Er weiß also in doppelter Hinsicht, wovon er redet. Essen kann und soll gut schmecken, und dennoch wollen wir uns gesund ernähren. Ich möchte erfahren, dass dies kein Widerspruch ist. Genau deswegen bin ich hier.

Toni begrüßt uns freundlich zu unserem ersten Seminartag und motiviert uns, nicht nur hier zu sitzen, sondern auch mitzumachen und Fragen zu stellen. Das verstehe ich, denn Motivation ist wichtig, sonst würde ich eine Diät nicht durchhalten. Und jeder von uns glaubt vermutlich zu wissen, was das ist, eine Diät. „Diät“, sagte einst Garfield, „das ist das Wort mit dem T am Ende, T wie Tod“. Doch wir könnten nicht falscher liegen.

Eine Diät mag keiner, Diäten wiederum wären höchst willkommen. Dass uns der Widerspruch zwischen „Diät = Einschränkung“ und „Diäten = Übermaß“ nicht so recht in den Kopf will, liegt daran, dass die beiden ähnlichen Worte eine unterschiedliche Herkunft haben. Die Diäten der Abgeordneten leiten sich aus dem lateinischen „dieta“ = „Tagelohn“ ab. Es ist doch amüsant, einen Politiker folgerichtig als „Tagelöhner“ zu betrachten, oder?

„Diät“ wiederum stammt laut Wikipedia vom griechischen „diaita“, was soviel wie „Lebensweise“ bedeutet. Dass der lateinische und der griechische Begriff ziemlich ähnlich klingen, ist wohl auch nicht verwunderlich, denn im alten Rom hatte Griechisches einen ähnlichen Stellenwert wie für uns die lateinischen Worte oder Sprüche. Auch im Englischen wiederum wird unter „diet“ die alltägliche Ernährungsweise eines Menschen verstanden, unabhängig von gewichts- oder krankheitsbedingten Kostformen (Wikipedia).

„Diät“ sagt Toni, „ist eigentlich der falsche Begriff. Wir wollen unsere Ernährung umstellen, damit wir langfristig gesünder leben. Denn was nützt uns ein Erfolg jetzt, der nicht von Dauer ist?“ Im landläufigen Sinne wird Diät oft als eine Einschränkung verstanden, sei es nur „weniger essen“ oder auch „bestimmte Dinge gar nicht essen“. Etwas später dann relativiert er dies. „Diät ist ein gutes Wort“, sagt er. Denn er versteht es wie die Engländer. Auch seine Diät ist eine besondere Kostform.

Abnehmen ist dabei nur ein mögliches Ziel, eine sinnvolle Umverteilung des Gewichts ein anderes. Das bedeutet nicht einfach nur vom Bauch in die Arme. Eine der Körpergröße angemessene Verteilung zwischen Fett- und Muskelmasse ist sinnvoll, denn Muskeln haben im Körper nicht nur die Funktion als Kraftquelle. Sie erhöhen durch ihre bloße Anwesenheit den Grundumsatz. Ein höherer Grundumsatz bedeutet, dass der Körper mehr Energie verbraucht, was wiederum zum Teil durch den Muskeltonus (siehe auch medizinfo.de: Aufgaben der Muskulatur) verursacht wird. Der Muskeltonus ist eine permanente leichte Anspannung, die unbewusst erfolgt, um z.B. beim Sitzen oder Stehen nicht einfach umzufallen. Und da ein Teil der Energie für die Muskeln aus der Fettverbrennung bezogen wird, bleibt nicht so viel zur Fetteinlagerung übrig. Kurz gesagt kann man den Grundumsatz des Körpers steigern, indem man Muskelmasse aufbaut.

Ein Problem bei der Ermittlung der richtigen Verteilung dieser Werte liegt sicherlich in der Messmethode, die uns im allgemeinen zur Verfügung steht. Die normale Personenwaage ermittelt zwar mehr oder weniger genau unser Gesamtgewicht, aber nur spezielle Geräte ermöglichen darüber hinaus die Messung der Fett-, Knochen- und Muskelmasse. Hinzu kommt der bekannte Frustfaktor, wenn mal zweihundert Gramm mehr auf der Waage stehen als sie gestern noch angezeigt hat. Bedenkt man dabei, dass im Verdauungstrakt des Körpers immer eine gewisse Masse verarbeitet wird, können wir uns auch ohne, dass ich jetzt zu sehr in’s Detail gehen muss, vorstellen, dass gewisse Schwankungen völlig normal sind. Ein Beispiel dafür ist die Harnblase. Deren Fassungsvermögen beträgt beim erwachsenen Menschen je nach Körpergröße zwischen 900 und 1500 ml (Wikipedia: Harnblase). Daher werden wir während des Ernährungskurses routinemäßig nur einmal in der Woche gewogen.

Solche Waagen gibt es auch für den Haushalt. Die Modelle Omron BF511 und Tanita BC 601 wären hier beispielhaft zu nennen. In einem späteren Artikel werden wir auf eines der Modelle noch etwas detaillierter eingehen.

Dass die meisten von uns nach einer solchen Umstellung vielleicht sogar weniger wiegen, ist ein angenehmer Nebeneffekt. Auch bedeutet „Muskelaufbau“ nicht das, was man gemeinhin darunter versteht. Denn nicht Arnold Schwarzenegger ist unser Ziel, sondern Pierce Brosnan. Na gut, vielleicht doch Thor. Das Auge isst mit, und auch Frauen achten auf das Äußere, nicht nur bei sich selbst.

Einweisung

„270 Kilo soll ich drücken?“ Die Frau am Gerät rechts neben mir ist mehr als überrascht über diese Anzeige. Sie ist — auch im Vergleich zu den anderen um mich herum — sehr korpulent, und 270 kg sind für sie ohne Zweifel jenseits des Erreichbaren; und nicht nur für sie. „Hier begegnen sich alle auf Augenhöhe“, erklärte mir Sven zuvor im ausführlichen Gespräch. „I am, what I am“, sang Gloria Gaynor 1983. Nun sehe ich, was damit gemeint ist. Jeder wird akzeptiert, wie er oder sie halt ist: Dick, dünn, groß, klein. Schließlich sind viele Leute gerade deswegen hier, um abzunehmen, und sie sollen es in einer Atmosphäre des Vertrauens tun können.

Sven ist eigentlich mit meiner Einweisung beschäftigt, erklärt ihr aber schnell den Grund: Das Gerät fordert nach zwölf Durchgängen eine neue Kraftmessung an, um den veränderten Fähigkeiten Rechnung zu tragen und die Belastungswerte neu festzulegen. Denn danach beginnt die Serie wieder von vorn, nun aber mit den neuen Einstellungen. Die Kraftmessung kann man zwar auch alleine erledigen, aber gern hilft auch ein Trainer dabei, der die notwendigen Einstellungen vornimmt. Das ist in einer halben Minute erledigt.

Eine halbe Stunde zuvor führten wir ein ausführliches Gespräch über meine körperliche Befindlichkeit, ebenso wie über Probleme und frühere Erfahrungen. „Anamnese“ würde ein Arzt dazu sagen, doch Sven Boschke ist kein Arzt. Es ist — wie schon erwähnt — ein Gespräch auf Augenhöhe, ohne (Ab-)Wertung der Person. Der Ist-Zustand wird aufgenommen, und dazu ist es wichtig, dass auch offen über körperliche Handicaps gesprochen wird. Schließlich soll hier etwas aufgebaut, nicht aber dafür an anderer Stelle etwas zerstört werden.

Auch über mein Ziel wird dabei gesprochen. Es ist für den Trainingsplan und die Krafteinstellung der Geräte wichtig, zu wissen, ob ich eher ein spezielles Krafttraining zum schnellen Muskelaufbau benötige, oder ob ich meine allgemeine Fitness verbessern will.

Gewisse Sprachkenntnisse sind natürlich notwendig, denn ohne diese würde keine Kommunikation zwischen dem Trainer und dem Kunden stattfinden können. Aber auch das ist oft kein Hindernis. Sven erzählte von einer polnischen Kundin, die einfach eine Freundin mitgebracht hat, die für sie übersetzt hat. Zwar spricht keiner der Trainer polnisch, aber da die Kundin nebenbei noch einen Intensivkurs in Deutsch besucht, wird auch diese Sprachbarriere sicher bald überwunden sein.

Nach diesem Gespräch ziehe ich mich um. Wir beginnen mit einem kurzen Lauf auf dem Laufband. „5 Minuten reichen, um warm zu werden“. Das Aufwärmen hat für einen Sportler eine genauso große Bedeutung wie für einen Sänger das Einsingen. In gewisser Weise wird der Körper auf die Belastung eingestimmt. Beim lockeren Joggen wird das Hormon Hyaluronsäure ausgeschüttet, das für eine verbesserte Schmierung der Gelenke sorgt.

Sehfahrer

Als Amateurfotograf bewege ich mich oft in den Lebensbereichen anderer Menschen. So interessant das ist, so schwierig ist manchmal die Abgrenzung zwischen Neugier und höflicher Distanz. Durch meine Tätigkeit als freier Journalist versuche ich nun, Bild und Sprache zu einer Einheit zu verbinden.

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