Eurovision Song Contest 2015: Das Debakel von Wien
Erster Platz für Schweden: „Und Deutschland mal wieder keine Punkte“
Marlène Charell war vor 32 Jahren in München die bisher einzige Grand Prix Eurovision de la Chanson-Moderatorin oder neuzeitig Eurovision Song Contest (ESC) die nicht nur dreisprachig moderierte, sondern auch noch als Show Act sang und dabei tanzte. Bei der Punktevergabe von Östrreich an Deutschland rutschte dem Multitalent, das etwas mit ihrer Mehrfachrolle überfordert schien, heraus. „Und Deutschland mal wieder keine Punkte. Ähnlicherging es Deutschlands ESC-Teilnehmerin Ann-Sophie: Keine Punkte aus dem Alpenland und schlimmer noch: auch von sonst keinem der 40 Teilnehmerländer.
Der Favorit Mans Zelmerlöw fuhr in seinem dritten ESC-Anlauf den Sieg mit dem Lied „Heroes“ für Schweden ein, noch vor der schönen Russin Polina Gargarina und dem „Knödel-Tenor“-Trio Il Volo. Zelmerlöw war sicherlich nicht der beste Sänger im Wettbewerb, spielte aber mit seiner eigens für ihn inszenierten Bühnenshow in einer anderen Liga als seine Mitstreiter. Seine Lasershow mit Strichmännchen (oder Strich-Maxerl auf Österreichisch) waren perfekt auf Song und Bewegung abgestimmt und bildeten eine einzigartige Kulisse. Sänger, Sängerinnen und Gruppen aus 27 Ländern waren in diesem Jahr beim ESC angetreten – so viele wie noch nie zuvor. Zum ersten Mal war auch Australien dabei.
Neben Deutschland erlebte auch Gastgeber Österreich sein Waterloo: Die Alpenrocker Makemakes bekamen noch nicht einmal „Genadenpunkte“ als Ausrichterland. Eine glatte Null stand am Ende auf dem Punktekonto. So hatte man sich die Conchita-Festspiele sicher nicht vorgestellt. So gingen Deutschland und Österreich gemeinsam in die „Hall of Shame“ ein. Übrigens nicht das erste Mal, dass zwei Länder diese anführen. 1997 erwischte es Norwegen und Portugal. Spanien und die Türkei teilten die „Ehre“ im Jahr 1983.
Ähnlich katastrophal wie das Deutsch/Österreich aber auch Schweizer Abschneiden, war die Performance des zu 100 prozentig weiblichen Moderatorinnen-Trios Arabella Kiesbauer, Mirjam Weichselbraun und Alice Tumler. Passend zu ihren öden Outfits präsentierten die drei Damen eine Moderation, die uninspiriert und langweilig – der Österreicher würde sagen: „schlicht fade“ – war. Wäre da nicht Conchita Wurst gewesen. Sie stellte ihren neuen Songs vor und witzelte im „Green Room“, der Raum wo die Teilnehmer nach dem Auftritt auf die Punkte warten, in dem sie sich selbst zur „Green Mum“ ernannte. Ihre Einlagen waren auf den Punkt und brachten Sympathie fürs Gastgeberland.
Auf hunderten von Public Viewing-Plätzen, verteilt über das ganze Österreich, konnte man sich kaum dem ESC entziehen. Die Bart-Dame Conchita lachte von Plakatwänden, Postern, flimmerte 24 Stunden auf fast allen TV-Kanälen und tönte nicht nur durchs Radio, sondern wurde auch als U-Bahn Aussteigertrailer an der Wiener Stadthalle genutzt. Gebracht hat es alles nichts: weniger Touristen als gedacht reisten an, viele Betten blieben leer und Hoteliers waren enttäuscht. Die Rot-Weiß-Rote Riesenparty hinterließ nach dem letzten Platz einen faden Geschmack und man guckte sprichwörtlich in die „Röhre“ – denn über drei Kilometer Rohre wurden in einer aufwendigen Kulisse für die Mini-Bühne der wohl kleinsten Contest-Location der letzten zehn Jahre genutzt.
Die 1956 erbaute „Bonsai-Halle“ des ehemaligen NSDAP-Mitglieds Roland Rainer führte dazu, dass nicht nur die Hälfte aller seit Jahren anreisenden Fans aus aller Herren Länder diesmal kein Ticket bekam. Es hatte auch zur Konsequenz, dass noch niemals so viele Akkreditierungswünsche von Journalisten abgewiesen worden sind. Somit wurde natürlich auch weniger berichtet als sonst. Was als Konsequenz mit 8,11 Millionen Zuschauern die seit sechs Jahren schlechteste Einschaltquote zur Folge hatte. Mit Sicherheit hat nicht nur in Deutschland der Song Contest in seiner jetzigen Form an Attraktivität verloren.
Und Deutschland hat sein Debakel selbst verschuldet, indem das Land eine zweitklassige Sängerin nach Wien schickte. Im Vorentscheid landete sie mit ihrem Song „Black Smoke“ sogar nur auf dem dritten Platz nach dem ESC-Aussteiger Andreas Kümmert. Der Gesangswettbewerb ist in den letzten 60 Jahren so hoch professionell geworden, dass ein solcher Ausrutscher sofort abgestraft wird. In der ARD sollte man sich wirklich einmal Gedanken darüber machen, wie die Führung des ESC zukünftig wieder auf Spitzenleistung getrimmt werden kann, um ein weiteres Desaster zu vermeiden.
Quelle:Thomas Becker