„Haben wir den Mut, unsere Stadt neu zu denken?“ – Informationsabend zur Kulturhauptstadtbewerbung Europas 2025
„Warum wollen wir es noch einmal versuchen und welche Chancen haben wir, welche Möglichkeiten birgt eine Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2025 für Kassel?“ Diese Fragestellungen standen im Mittelpunkt der ersten Veranstaltung zu einer möglichen Bewerbung, die in der documenta Halle am Donnerstag 23. Juni, auf großes Interesse gestoßen ist. An dem heißen Sommerabend waren rund 250 Bürgerinnen und Bürger der Einladung der Stadt gefolgt, um sich über das Thema zu informieren und die möglichen Aspekte zu erörtern. Es zeigte sich: Es wird in der Stadt viel darüber nachgedacht, seitdem Oberbürgermeister Bertram Hilgen beim Jahresempfang 2015 das Thema Kulturhauptstadtbewerbung angesprochen hatte.
„Es sind die jungen Menschen, die neue Entwicklungen aufgreifen. Hören wir ihren Pulsschlag?“
In Kassel habe sich in den vergangenen Jahren viel getan, vom Welterbe Bergpark über die GRIMMWELT Kassel bis hin zum geplanten documenta-Institut, das auf einem guten Weg sei, stellte Oberbürgermeister und Kulturdezernent Bertram Hilgen in seinem Eingangsstatement fest. Kritisch merkte er aber auch an „Wir müssen die freie Szene stärker fördern, als wir es in den vergangene Jahren getan haben. Sie benötigt Platz, um sich zu entfalten zu können.“ Der Platz werde jedoch weniger in einer Stadt, die sich wirtschaftlich so dynamisch entwickele, wie es Kassel getan habe. Hilgen: „Das müssen wir ausgleichen.“
Für die Bewerbung als Kulturhauptstadt brauche Kassel einen Stadtentwicklungsprozess mit europäischem Charakter. Dabei bedeute Stadtentwicklung nicht nur bauen, sondern eine Entwicklung der Stadtgesellschaft. Für den Oberbürgermeister steht fest „Dafür brauchen wir ein eigenständiges Kulturdezernat als Verankerung in der politischen Spitze des Rathauses.“
„Kultur ist nicht Unterhaltung, Kultur ist die Auseinandersetzung über gesellschaftliche Fragen mit anderen Mitteln“
„Kulturhauptstadt zu sein ist ein Prozess, es ist kein Produkt; Kulturhauptstadt zu sein ist die Möglichkeit, eine Stadt durchzurütteln, sich selbst in Frage zu stellen und zu erkunden; es ist die Fragestellung, wo kommen wir her, wo wollen wir hin; Kulturhauptstadt zu sein ist die Möglichkeit, die eigen Bildsprache auf den Kopf zu stellen.“ Über seine Erfahrungen mit und in Kulturhauptstädten referierte Dr. Ulrich Fuchs, der Mitglied der EU-Jury zur Auswahl aktueller und künftiger europäischer Kulturhauptstädte ist. Er war Projektleiter im Team zur Vorbereitung der Bewerbung Bremens zur Kulturhauptstadt Europas 2010, stellvertretender Intendant und Leiter der Projektentwicklung für die Kulturhauptstadt Linz 2009 sowie stellvertretender Intendant der Kulturhauptstadt Marseille-Provence 2013.
Es gehe nicht um ein Festival, es gehe um umfassende städtische Entwicklungsprozesse und -projekte, für die Kultur einen Motor darstelle, der Beschleunigungscharakter habe, sagte Fuchs. Kulturhauptstadt zu sein sei damit ein umfassender Stadtentwicklungsprozess, er könne eine Psychotherapie für die Stadt sein, die Möglichkeit sich selbst in Frage zu stellen und zu erkunden, sich darüber bewusst zu werden, was gut ist und was man besser machen könne.
„Haben wir den Mut, unsere Stadt neu zu denken?“
Eine Gesprächsrunde mit Oberbürgermeister Bertram Hilgen, dem ehemalige Präsident der Universität Kassel und Präsident der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Rolf Dieter Postlep, sowie Martina Bramkamp, Professorin an der Kunsthochschule Kassel, reflektierte die Chancen und Risiken einer Bewerbung, die im Anschluss mit dem Publikum diskutiert werden. Stilstand ist Rückschritt, war sich das Podium einig, durch eine Kulturhauptstadtbewerbung könnten Leitbilder und Visionen für die 2020er Jahre entwickeln werden.
Moderiert wurde der Abend von der Hamburger Filmproduzentin Heike Wiehle-Timm, gebürtige Kasselerin und als Mitglied des Kassel-Beirats ihrer Heimatstadt eng verbunden.
Das Ensemble des Jugend- und GenerationenClubs des Staatstheater Kassel unter Leitung von Anna-Theresa Stoß und Thomas Hof überraschten mit einer Sprachperfomance das Publikum.
Hintergrund
Erst im Herbst 2016 soll die Stadtverordnetenversammlung entscheiden, ob Kassel sich erneut um den Titel bewerben wird, den die Europäische Union im Jahr 2025 zum vierten Mal in der Geschichte der Initiative an eine deutsche Stadt verleiht. Intern sind bereits viele Vorabreiten geleistet worden, ist ein intensiver Arbeitsprozess in Gang gekommen, für den viele Stimmen und Meinungen eingefangen worden sind. Um ein fundierte Grundlage zu haben, hat die Stadt eine Kulturlandschaftsanalyse beauftragt.
Die Europäische Union verleiht seit 1985 jährlich den Titel „Kulturhauptstadt Europa“ („European City of Culture“) und zeichnet damit Städte aus, die durch ihr kulturelles und kreatives Potential herausstechen und es gleichzeitig verstehen, Europa in seiner Vielfalt sowie kulturellen Einheit zu repräsentieren.
Im Jahr 2025 wird zum vierten Mal in der Geschichte der Initiative Deutschland einen Vertreter stellen. Der Titel hierfür wird im Jahr 2018 ausgeschrieben und im Jahr 2020 beschieden. In den aktuell geltenden Regularien wird das Programm auch als ein Motor für langfristige Stadtentwicklungsprojekte verstanden und eine erkennbare Nachhaltigkeit im Bewerbungskonzept der einzelnen Städte/Regionen gefordert.
PM Stadt Kassel
(CB)