Don’t feed the troll!

Sam Fentress (traced to SVG by James Hales), DoNotFeedTroll, CC BY-SA 3.0

Eigentlich ist es ja witzig. Man könnte sich kaputt lachen, wenn es im Grunde nicht doch ziemlich ernst wäre. Denn diese Auseinandersetzung rührt an den Grundfesten dessen, was einst für so wichtig befunden wurde, dass es sogar in den ersten Artikeln unseres Grundgesetzes erwähnt wurde: Die Meinungsfreiheit. Zum Nachlesen siehe Art. 5 GG.

Dieser seltsame Begriff geht mir nicht zum ersten mal durch den Kopf. Wie gesagt, man könnte darüber lachen. Da regen die einen sich über den wieder erstarkten Begriff „Lügenpresse“ auf, mit dem die anderen alle pauschal verteufeln wollen, die nicht das schreiben, was ihrer politischen Überzeugung entspricht. Eine Zeitlang hatte man den Eindruck, als ob ausschließlich die Verwendung dieses Wortes die Unverschämtheit sei, weil der Begriff seinerzeit von den Nazis benutzt wurde. Über die Frage, ob der Vorwurf berechtigt ist oder nicht, unterhielt man sich kaum.

Dann kam jemand auf die Idee, den englischen Begriff „fake news“ einzuführen. Das war insofern genial, weil dieser von den Nazis eben nicht verwendet wurde, was kein Wunder ist, denn damals waren Anglizismen noch nicht „in“. Also ist „fake news“ dem Vernehmen nach zwar nicht so böse wie „Lügenpresse“, aber es läuft doch auf das gleiche hinaus: Da schreibt jemand die Unwahrheit. So einfach ist das. Die Frage, wie man richtig von falsch trennt bzw. wer dies tut, bleibt wiederum ungestellt.

Nun ist der Unterschied im Grunde gar nicht so groß. Einzig die Zielgruppe ist im Fall der „Lügenpresse“ klarer beschrieben. Dies ist per definitionem eben die Presse, also alles, was gedruckt wird. Betrachtet man die Herkunft dieses Begriffes, verwundert das nicht. Damals gab es nur Presseerzeugnisse. Dieser ganze neumodische Kram wie Blogs und Foren war noch lange nicht erfunden. Daraus könnte man natürlich ableiten, dass der Begriff „Lügenpresse“ heutzutage auch auf alle neuen Erfindungen anzuwenden wäre, was dann zwangsläufig auch Blogs wie „Politically Incorrect“ einschließen würde. Wenn sie also alle lügen, wer schreibt dann überhaupt noch die Wahrheit?

Im Gegensatz dazu sind „fake news“ einfach nur „falsche Nachrichten“ oder auch „gefälschte Nachrichten“, und begrifflich gesehen zunächst unabhängig vom Verbreitungsweg. Eigentlich ist der englische Begriff viel flexibler verwendbar; praktischerweise kann man alles und jeden damit beschimpfen, und das Gegenteil beweist sich äußerst schwer.

Einfache Lösungen

Nun könnte man ganz einfach denken: „Lügenpresse“ betrifft die Presse und ist ein Begriff von den Nazis, also böse und falsch. „Fake news“, das ist englisch, modern und cool und betrifft folglich die Blogs und Foren (also alle Gelegenheits- und Möchtegern-Journalisten). Die haben das (journalistische) Schreiben nicht von der Pike auf gelernt, die können ja alles schreiben, also kann das nur falsch sein, was die behaupten. Als ob das für (echte, hauptberufliche) Journalisten nicht gelte.

Das wird sogar durch eine Umfrage des ZDF untermauert, die herausgefunden hat, dass das Vertrauen der Deutschen in die klassischen Medien (einer schrieb sogar „Qualitätsmedien“) ungebrochen ist. Der originelle Zusammenhang, dass das ZDF ausgerechnet aus der von ihm selbst beauftragten und finanzierten Umfrage als Sieger hervorgeht, wird wohl nur von eingefleischten Verschwörungstheoretikern angemessen gewürdigt werden. Die Gegenseite wird argumentieren, schließlich habe das ZDF die Umfrage gewonnen, womit bewiesen sei, dass man ihm vertrauen kann. Folglich könne die von ihm in Auftrag gegebene Umfrage ja nur korrekt abgelaufen sein, denn das ZDF sei ja vertrauenswürdig. Die sich im Kreis drehende und sich selbst erhaltende Argumentation klingt ein wenig nach Baron von Münchhausen, der sich angeblich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen hat.

Sollte man wirklich etwas dagegen tun, oder reicht es aus, das ganze unter Meinungsfreiheit abzuhaken? Ich hoffe jedenfalls nicht, dass die Idee unseres Innenministers Thomas de Maizière, eine schnelle Eingreiftruppe auf die Beine zu stellen, Früchte trägt. Anstatt zu helfen befürchte ich eher eine Eskalation im Orwell’schen Sinne, die jegliche unangenehme Meinungsäußerung unterdrückt und die Geschichte permanent umschreibt. Dabei gibt es doch wahrhaftig eine viel einfachere Lösung: Zur Abwechslung einfach mal Denken!

Wo ist unsere Medienkompetenz?

Seit Menschengedenken haben wir mit dem Problem der „Lüge“ zu tun. Schon als Kind hat wohl jeder von uns versucht, sich irgend eine Süßigkeit zu erschwindeln. Die Frage „Hast du deine Hausaufgaben gemacht?“ wurde doch stets mit „ja, klar“ beantwortet, woraufhin man dann draußen spielen durfte. Stellte sich danach heraus, dass sie eben nicht gemacht waren, konnte man trefflich über die Frage streiten, was denn diese seltsame Aufgabe „schreibe etwas über Elefanten“ bedeutet. Oder man ließ es einfach gut sein, denn die Belohnung des „draußen Spielens“ hatte man ja bereits eingesackt. Die Eltern hatten als Lügendetektor mehr oder weniger viel Erfolg, uns Kindern aber meistens eine gewisse Lebenserfahrung voraus.

Die Lebenserfahrung und Sprachkompetenz sollte uns, inzwischen erwachsen geworden, aber helfen, zwischen „ich finde es heiß draußen“ und „es ist heiß draußen“ zu unterscheiden. Das erste ist eine Meinung, letzteres eine Behauptung. Die Meinung kann nicht richtig oder falsch sein, es ist halt eine Meinung. Ich mag eine Temperatur als angenehm warm empfinden, bei der meine Frau bereits nach dem Wintermantel greift. Ob die obige Behauptung wiederum richtig oder falsch ist, ist damit noch lange nicht gesagt, auch wenn sie noch so nachdrücklich geäußert wird. Genauso dürfte es sich mit Sätzen wie „ich finde Merkel hat dieses Debakel verursacht“ und „Merkel ist an allem schuld“ verhalten.

Eigentlich wissen wir schon recht gut, ob etwas als Meinung oder als Behauptung ausgedrückt wurde. Kaum jemand wird im Sommerdress aus dem Haus gehen, nur weil jemand sagt „boah, ist das eine Hitze da draußen“. Man wird vielleicht den Wetterbericht konsultieren oder einfach mal den Kopf aus dem Fenster halten. Oft überprüfen wir eine Behauptung zunächst daraufhin, ob sie mit den beobachtbaren Fakten übereinstimmt. Und wenn keine Fakten zur Hand sind, hilft oft der gesunde Menschenverstand oder die Erfahrung. Wie wahrscheinlich ist eine Hitzewelle im Dezember? Aber wenn irgendwo steht, Donald habe Daisy öffentlich geküsst, sind plötzlich alle aus dem Häuschen. Das Problem mit dieser Wahrscheinlichkeitsrechnung ist jedoch, dass in einer Zeit, wo viel Unerklärliches und Absurdes passiert, diese Frage zunehmend schwieriger zu beantworten ist.

Verlustmeldung

Mich wundert, dass offenbar viele Menschen in dem Moment, wo sie es mit dem Internet zu tun bekamen, alles vergaßen, was sie jemals in ihrem Leben gelernt hatten. Da musste man die „Accounts“ im Forum noch darauf hinweisen, dass am anderen Ende der Leitung auch ein Mensch saß. „Don’t feed the troll“ ist seit den ersten Tagen des Internets ein geflügeltes Wort. Der Satz empfiehlt, gelegentlich auch mal auf eine Reaktion zu verzichten, um den Troll nicht auch noch mit dem zu füttern, was er am liebsten mag: Aufmerksamkeit. Wie oft kam es vor, dass im Forum die heftigsten Beschimpfungen ausgetauscht wurden, aber bei einem „Usertreffen“ dann plötzlich Friede-Freude-Eierkuchen herrschte? Sobald man ein Gesicht sieht, ist die Lebenskompetenz wieder da, aber der Bildschirm schirmt alles vor uns ab, auch die eigenen Erfahrungen. Das ist übrigens im Auto auch so. Seltsam, oder?

Wie wäre es, wenn Sie das nächste mal, wenn Sie eine reißerische Überschrift lesen, einfach mal den Pausenknopf drücken, das Hirn einschalten und sich fragen: Wie wahrscheinlich ist es, dass ein großer Gorilla auf dem Kirchturm herum turnt, während ein Mann mit einem Staubsauger auf dem Rücken die Feuertreppe hinauf sprintet? Und wenn Sie diese Fragen beantwortet haben, dann, und erst dann drücken Sie eventuell auf den „Teilen“-Knopf. Oder lassen Sie es einfach mal bleiben. „Don’t feed the troll!“

 

Christoph Jüngling

Ich bin seit über 25 Jahren selbständiger Softwareentwickler und IT-Berater. Für die Nordhessen-Rundschau schreibe ich unter anderem über IT-relevante Themen mit der Hoffnung, die Hintergründe auch für Laien verständlich zu machen. Denn besonders in der IT-Welt gilt: "Nichts ist so, wie es scheint."

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