Terra X: Sensationsfund Homo naledi
Auf der Spur der ersten Menschen
Homo naledi, das neu entdeckte Mitglied der Menschenfamilie, gilt als Jahrhundertfund. Das Forscherteam um Lee Berger hofft, dass der „Sternenmensch“ ein neues Licht auf die Anfänge der Menschwerdung werfen wird. Die Fundstätte bei Johannesburg ist nur durch eine gefährliche Kletterpartie in einem engen Höhlensystem erreichbar. „Terra X“ begleitet den Paläoanthropologen und sein Team bei seiner abenteuerlichen Suche.
SENDEZEIT: Sonntag, 10. April 2016, 19.30 Uhr
Angefangen hatte alles 2013, als Fossilienjäger während einer Klettertour im Rising-Star-Höhlensystem, in der Nähe von Johannesburg, zufällig auf eine Höhle voller Knochen gestoßen waren. Die beiden Höhlenkletterer informierten Lee Berger, einen der führenden Paläoanthropologen der Universität von Witwatersrand, über ihre ungewöhnliche Entdeckung.
Normalerweise hätte der Forscher sofort selbst einen Blick auf den Fundort geworfen, aber das ließ die unzugängliche Lage der Knochenkammer nicht zu. Der Fundort war nur über eine Reihe von Zwischenhöhlen und Schächten zu erreichen, deren schmalste Stelle gerade mal 20 Zentimeter maß. Berger beschloss, alles auf eine Karte zu setzen. Ohne weitere Hinweise organisierte er 2014 eine Grabung. Sein Team suchte er in aller Eile per Internet nach äußerst ungewöhnlichen Kriterien aus: Neben ihren beruflichen Qualifikation mussten die Wissenschaftler auch noch klein und zierlich sein, Erfahrung im Klettern und vor allem: keine Angst vor kleinen Räumen haben.
„Untergrund-Astronauten“ nennt Lee Berger seine Kollegen scherzhaft. Mittlerweile konnte das Team die Überreste von insgesamt 15 Individuen eines neuen Menschentyps, des Homo naledi, bergen. Damit ist der nur 1,50 Meter große Naledi einer der am besten dokumentierte Vertreter der gesamten Menschenfamilie. Neben der Fülle an Fossilien verblüfft die Wissenschaftler bis heute vor allem die ungewöhnliche Mischung von Merkmalen: Einige Knochen entsprechen in Form und Funktion denen unserer äffischen Verwandten, während andere sich kaum von unseren eigenen unterscheiden. Lee Berger nannte den neuen Menschenfund „Naledi“. Das bedeutet „Stern“, und tatsächlich hofft der Forscher, dass der „Sternenmensch“ ein neues Licht auf die Anfänge der Menschwerdung werfen wird.
War Naledi vielleicht sogar der erste Mensch überhaupt?
„Terra X“ begleitet Bergers „Untergrund-Astronauten“ auf ihrer gefährlichen Mission in die Tiefe der Rising-Star-Höhle zu den Anfängen der Menschheitsgeschichte und gibt den Zuschauern die einzigartige Möglichkeit, unmittelbar Zeuge einer der bedeutendsten Entdeckungen dieses Jahrhunderts zu werden.
„Wir legten ihn mit Zahnstochern, Schaschlikspießchen und kleinen Malerpinseln frei“
Interview mit Expeditionsteilnehmerin Marina Elliott
Die Paläoanthropologin Marina Elliott betrat als erste die Knochenkammer der Rising Star-Höhle.
Sie haben an der wohl außergewöhnlichsten Expedition dieses Jahrhunderts teilgenommen. Wie sind Sie Teil des Teams geworden?
Ich war gerade dabei, meine Doktorarbeit in biologischer Anthropologie in Kanada zu beenden, als ich die Anzeige von meinem Doktorvater Lee Berger erhielt. Er wusste, dass ich gern kletterte und wollte, dass ich mich für die Expedition bewerbe. Ich hatte schon einige Erfahrungen mit Höhlen gesammelt, weil ich als Kind in der Nähe der Rocky Mountains aufgewachsen bin. Später habe ich dann an Ausgrabungen in Sibirien und Alaska teilgenommen. Ich fand, dass das alles ganz gut passte und wurde nach einem Bewerbungsgespräch mit Lee Berger Expeditionsmitglied.
Die Höhle dehnt sich über viele Kilometer und einige Stellen sind so eng, dass man schon beim Sichten des Filmmaterials Platzangst hat. Wie sind Sie und Ihre Kolleginnen in die Knochenkammer gelangt und gab es auch Momente der Angst?
Wir wurden am Anfang von Rick und Steve – das sind die Höhlenkletterer, die das Material ursprünglich entdeckt hatten – in die Knochenkammer geführt. Und obwohl ich wirklich viel Kletter- und Höhlenerfahrung habe, hatte ich zunächst schon ein bisschen Angst – besonders in dem Bereich, den sie „The Chute“ („Die Rutsche“) nennen. Diese Stelle sieht eigentlich eher so aus, als ob man in den Rachen eines Hais hineinkriechen würde. Den ganzen Weg hinunter über eine Strecke von zwölf Metern gibt es „Felsenzähne“. Aber die Begeisterung, eine der ersten zu sein, die dieses Material überhaupt sieht, und das Privileg zu haben, es ausgraben zu dürfen, hat mir die Sache sehr erleichtert.
Und als Sie dann zum allerersten Mal die geheimnisvolle Knochenkammer betreten haben …
Das war natürlich aufregend, ganz klar! Ich musste an das denken, das Howard Carter über seine Gefühle sagte, als er Tutenchamus Grab öffnete: Es war eine Mischung aus Begeisterung, Ehrfurcht und Staunen über die schiere Menge des Materials, das wir dort sahen.
Die Arbeitsbedingungen waren ja sicher ganz anders als bei üblichen Grabungen. Was mussten Sie beachten?
In einer Höhle zu arbeiten ist sowieso schon etwas Außergewöhnliches. In der Knochenkammer herrschen konstant 18 Grad Celsius, aber fast 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Besonders am Anfang leidet man unter der stickigen Luft. Aber vor allem ist es leise und dunkel – und irgendwie ist die Höhle ein friedlicher Ort zum Arbeiten. Wir legten das Material mit sehr kleinen Werkzeugen frei, wie zum Beispiel mit Zahnstochern, Schaschlikspießchen und kleinen Malerpinseln. Das ist eine sehr langsame, akribische Arbeit – und wir leisten sie auf Händen und Knien, weil man in dem Teil der Höhle, wo die Grabung stattfand, wegen eines großen Felsüberhangs, nicht aufrecht stehen kann. Je nachdem, welche Ausrüstung wir transportierten, dauerte es zwischen 20 und 40 Minuten, um in die Knochenhöhle zu gelangen. Normalerweise arbeiteten wir in Teams von zwei oder drei Leuten und waren so ungefähr vier bis sechs Stunden pro Tag im Einsatz.
Wie sind die Knochen in diese abgelegene Höhle geraten?
An dieser Frage arbeiten wir noch. Im Moment ist die beste Arbeitshypothese, die wir haben, dass sie von Artgenossen absichtlich in der Höhle abgelegt worden sind. Die Individuen sind sicher nicht „begraben“ worden in dem Sinn, wie wir den Begriff heute verstehen. Man hat sie nicht ordentlich in ein Grab gebettet oder mit irgendetwas bedeckt. Daher scheint mir der Begriff „Begräbnis“ hier auch nicht zutreffend zu sein.
Bisher konnte nur ein Bruchteil des Materials geborgen werden, das in der Höhle vermutet wird. Sind in naher Zukunft noch weitere Grabungen geplant? Und: Würden Sie wieder in den „Untergrund“ gehen?
Ich gehe davon aus, dass es in Zukunft noch einige weitere Ausgrabungen in der Knochenkammer der Rising Star-Höhle geben wird, aber im Moment konzentrieren wir uns auf andere Dinge. Seit der Ausgrabung 2013 haben wir kontinuierlich an dem Projekt gearbeitet. Ich bin 2014 nach Südafrika gezogen, um nach meiner Promotion in Lee Bergers Institut zu arbeiten. Momentan grabe ich gerade in einem anderen Bereich des Höhlensystems und leite ein Forschungsteam von fünf Mitarbeitern, die nach neuen möglichen Ausgrabungsstätten suchen. Ich liebe Ausgrabungen im Untergrund und habe nicht vor, demnächst nur an der Oberfläche zu bleiben.
PM ZDF-Terra X
(CB)