Naturschätze ohne Schutz?
NABU richtet Beschwerde an EU-Kommission
Wetzlar – Mit einer Beschwerde bei der EU-Kommission will der Naturschutzbund Hessen die Situation europäischer Schutzgebiete verbessern. „Viele Gebiete existieren nur auf dem Papier“, so Gerhard Eppler, Landesvorsitzender des NABU. Sollte die EU-Kommission die Auffassung des NABU teilen, kann sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten. Die Naturschützer beklagen Defizite bei der Umsetzung zweier europäischer Naturschutzrichtlinien. Ein Biodiversitätsbericht des Landes Hessen (2014) dokumentiere, dass sich im Vergleich zum Jahr 2007 insgesamt 14 Lebensräume verschlechtert haben, keiner hingegen verbessert. Bei den zu schützenden Arten hat sich die Situation in 23 Fällen verschlechtert, in nur 7 Fällen verbessert. Trotzdem hat das Land die Verbesserungsvorschläge des NABU bei einer Novellierung der Verordnung für alle 645 Schutzgebiete im vergangenen Jahr weitgehend nicht berücksichtigt.
Vor allem im Wald gibt es Probleme: Der NABU prangert an, dass der Bewertungsmaßstab für Wälder bewusst so gestrickt wurde, dass auch ein vollständig abgeernteter Wald noch als im „guter Zustand“ gilt (weil ja noch kleine, neue Keimlinge da sind). „Damit wurden die eigentlichen Ziele unterhöhlt, auch alte Wälder mit ihren charakteristischen Arten zu erhalten“, so Eppler. Die Gebiete würden auch dadurch verschlechtert, dass nach einem Erlass des Umweltministeriums der Laubholzanteil auf bis zu 50% abgesenkt werden kann. Statt Buchen und Eichen dürfen dann Baumarten wie Douglasien gepflanzt werden, die nicht standortheimisch sind. In einem Fall, im FFH-Gebiet „Laubacher Wald“, klagt der NABU aktuell auch vor dem Verwaltungsgericht Gießen gegen das Land. Dort führte die reguläre Forstwirtschaft zur weitgehenden Auslöschung einer seltenen Moosart.
In anderen Gebieten werden manche vorkommende Tierarten wie Biber oder Otter in der Schutzgebietsverordnung überhaupt nicht genannt – für sie greift der Schutz dann nicht. Das hessische Umweltministerium begründete dies mit einer „Priorisierung des Verwaltungshandelns“. Bei Bächen und Flüssen ist eine pauschale Abgrenzung mit einem 10 Meter breiten Streifen beidseitig der Ufer unzureichend. Denn der sich in Hessen ausbreitende Biber (2015: 490 Tiere in Hessen) ist bis zu 30 Meter vom Ufer aktiv. Als wichtiger Landschaftsgestalter renaturiert er kostenlos die Auen, führt aber auch zu umstürzenden Bäumen, Einbruchgefahr in Wohnröhren und Vernässungen. Das verlangt eine Managementplanung in einem breiteren Auenkorridor. Das Land lehnt es auch ab, seltene Arten wie Geburtshelferkröte, Äskulapnatter, Europäische Sumpfschildkröte, Feldhamster und Wildkatze mit in die Schutzgebietsverordnung aufzunehmen. Dies sei „aus europarechtlichen Gründen nur schwer realisierbar“. Auch neue Daten über Artvorkommen aus den letzten beiden Jahren wurden bei der Novellierung nicht berücksichtigt.
Große Probleme gibt es beim Schutz von artenreichem Grünland. Das Land setzt ganz auf Freiwilligkeit und versucht, den Schutz durch Verträge mit den Landwirten zu erreichen. Will ein Landwirt nicht, gibt es keinen Schutz. So reichen die Verträge bei Weitem nicht aus, um alle Naturschätze in den FFH-Gebieten zu erhalten. In manchen Fällen hält der NABU die Formulierung von klaren Verboten für nötig. „Eigentümer, Pächter und Spaziergänger wissen in der Regel gar nicht, was sie eigentlich tun oder lassen sollen“, so der NABU. Bei Naturschutzgebieten hingegen ist so ein Regelkatalog üblich. Bei den europäischen Schutzgebieten lehnt das Land dies ab. So ist es dann auch möglich, dass jedes Frühjahr Wiesengebiete, in denen Vögel am Boden ihre Eier gelegt haben, von Landwirten mit Wiesenschleppen geglättet und die Gelege dabei zerstört werden. Oder dass in Wasservogel-Schutzgebieten gejagt wird und die Vögel verscheucht werden. Der NABU beklagt, dass seit 25 Jahren die Interessen der intensiven Land- und Forstwirtschaft Vorrang für das Umweltministerium haben.
25 Jahre alt wird die „Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie“ der EU in diesem Jahr. Sie schreibt den Schutz bestimmter Tier- und Pflanzenarten und Lebensräume in Schutzgebieten („FFH-Gebiete“) vor. Gemeinsam mit Schutzgebieten nach der EU-Vogelschutzrichtlinie aus dem Jahr 1979 ist so das Schutzgebietsnetz „Natura 2000“ entstanden. Das Netzwerk aus Schutzgebieten (in Hessen 21% der Landesfläche) soll eigentlich so zusammenhängend sein, dass der Austausch von Arten zwischen den Gebieten möglich ist und die Arten so dauerhaft in Europa erhalten werden können – trotz intensiver Land- und Forstwirtschaft, Straßen und Siedlungen im Umfeld. Tatsächlich aber konnte das Artensterben bisher nicht aufgehalten werden: Am stärksten fällt laut NABU der fortschreitende Verlust von Artenvielfalt in der Agrarlandschaft ins Gewicht. Fast alle Feldvogelarten sind hierzulande gravierend zurückgegangen, von den Insekten ganz zu schweigen, deren Biomasse allein nach Untersuchungen aus NRW um erschreckende 80% abgenommen hat. Aber auch die Forstwirtschaft stellt laut Bundesamt für Naturschutz die direkte Gefährdungsursache für allein 274 Farn- und Blütenpflanzen dar. 21 Waldvogelarten nehmen im Bestand signifikant ab.
Bei der Managementplanung der Gebiete werde gar nicht geschaut, wo das nächste Vorkommen seltener Arten ist und ob für einen Austausch (Biotopverbund) vielleicht weitere Maßnahmen notwendig sind. „Der Ansatz von Natura2000 ist gut, aber die Umsetzung funktioniert noch nicht“, klagt Naturschützer Eppler. Der NABU fordert die EU-Kommission auf, über den Europäischen Gerichtshof für einen besseren Schutz der Arten zu sorgen.
Quelle: NABU (JH)