Fernwehfestival: Die Grüne Insel

Fernwehfestival: Die Grüne Insel

„Früher musste man die Türen abschließen, damit die Gäste sich die Urlaubs-Dias bis zum Ende angeschaut haben, heute zahlen sie freiwillig dafür!“ lästerte eine Dame an unserem Tisch. Im Grunde hat sie Recht – und auch wieder nicht. Wenn ein „normaler Urlauber“ seine Fotos zeigt, sind diese in erster Linie für ihn selbst interessant. Persönliche Erinnerungen, Fotos von Freunden und der Familie: So etwas interessiert außerhalb dieses Kreises naturgemäß kaum jemanden. Doch darum geht es auf dem Fernwehfestival nicht. Hier zeigt man keine Urlaubs-Knipsbilder, sondern anspruchsvolle Fotografie, die oft genug auch mit dem Ziel der Information daher kommt – und damit auch der Meinungsbildung dient. Irland, genauer gesagt Nordirland, ist in der Vergangenheit keineswegs gut weggekommen, was nicht heißt, dass man die Insel nicht besuchen sollte, denn es hat sich viel verändert.

Dunguaire Castle – das Eingangstor zum Burren

Im neu bestuhlten Hörsaal 011 der Göttinger Uni entführt uns Dr. Heiko Beyer auf die grüne Insel, in eine eigene Welt, die wohl „alle möglichen Vorurteile dieser Welt ertragen muss“. Es sei keineswegs immer nur neblig und regnerisch gewesen, ab und zu habe auch mal die Sonne geschienen. Doch gegen Ende des Vortrags revidiert er dies schon wieder und gesteht, wenn er drei Tage lang nur Sonne erlebt hat, dann komme ihm das schon komisch vor. Also scheinen einige Vorurteile sich doch zu bewahrheiten. Aber das hält ihn nicht davon ab, uns wunderschöne Landschaftsfotos zu zeigen. Durch Videos angereichert entsteht eine Schau, die uns in eine faszinierende Landschaft eintauchen lässt, die weit mehr beinhaltet als einfach nur zahlreiche grüne Hügel. Dabei lässt Beyer auch Menschen zu Wort kommen, die dort wohnen, wie zum Beispiel einen Taxifahrer aus Belfast (Nordirland), ein ehemaliges IRA-Mitglied! Dieser ist froh, dass die Jugend begriffen hat, dass die Zeiten der Gewalt vorbei sind und es inzwischen andere Möglichkeiten gibt, miteinander umzugehen.

Jeweils durch die Einblendung des typischen irischen Kleeblatts, dem Shamrock, eingeleitet, zeigt er uns auf einer Karte seine Route kreuz und quer über die Insel, beginnend im Südosten über die Fünf Finger im Südwesten und dann im Zickzack nach Dublin und zuletzt Belfast im zu Großbritannien gehörenden Norden. Dabei erwähnt er seine Verblüffung, dass die Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland eigentlich gar nicht vorhanden ist. Nur der Straßenbelag ändern sich.

Den grauen Göttinger Himmel vergessend leuchten die zahlreichen Grüntöne der Wiesen und Wälder, die bunten Flecken der Dubliner Haustüren und die Kostüme der Schauspieler. Die kleineren Hacker bei den Übergängen vom Live-Vortrag zur Hintergrundmusik kann man dabei durchaus verschmerzen. Nicht immer ist die Technik so zuverlässig, wie wir es gerne hätten.

Aber nicht nur „schöne Bilder“ werden gezeigt, auch kritische Töne sind Teil des Festivals. Die Göttinger Gruppe von Amnesty International ist seit vielen Jahren mit einem Stand auf dem Fernwehfestival präsent.

In Europa gelten zum Beispiel die Malediven als touristisches Traumziel. Wenig ist dagegen bekannt über die politischen, ökologischen und sozialen Probleme, mit denen der Inselstaat zu kämpfen hat. Vor 14 Jahren gründete Shahindha Ismail die Nichtregierungsorganisation (NGO) „Maldivian Democratic Network“ und kämpft seitdem gegen religiösen Fundamentalismus und für die Einhaltung der Menschenrechte. Sie berichtet von den „anderen Seiten des touristischen Traumziels Malediven“. Laut einer Mitarbeiterin von Amnesty Göttingen muss sie als einheimische Unterstützerin von Verfolgten inzwischen selbst Repressionen ertragen, und das ausgerechnet von denen, denen sie einst geholfen hat. Der bekannte Spruch „Macht korrumpiert“ mag hier vielleicht seine Bestätigung finden – leider.

Dass solche Vorträge in Deutschland stattfinden können (und müssen), zeigt auch, wie gut es uns geht. Trotz aller teilweise berechtigter Kritik an dem Handeln unserer Regierung sollten wir dies nicht vergessen. Dennoch sind wir mit der um sich greifenden Überwachung auf dem besten Weg, eine der führenden Nationen der Welt zu werden – Überwachungsnationen.

Das Fernwehfestival findet inzwischen zum 17. mal jährlich im Januar statt. Noch heute (Sonntag) können die Besucher Vorträge besuchen. Karten gibt es an der Tageskasse, entweder für den ganzen Tag oder für einzelne Vorträge.

Sehfahrer

Als Amateurfotograf bewege ich mich oft in den Lebensbereichen anderer Menschen. So interessant das ist, so schwierig ist manchmal die Abgrenzung zwischen Neugier und höflicher Distanz. Durch meine Tätigkeit als freier Journalist versuche ich nun, Bild und Sprache zu einer Einheit zu verbinden.

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