Aufforstungen alleine reichen nicht
NABU fordert umfassende Waldstrategie im Klimawandel
Wetzlar – Etwa 20.000 Hektar Wald sind allein in diesem trockenen Sommer in Hessen abgestorben. Das entspricht 2,2 Prozent der Waldfläche. Ministerpräsident Volker Bouffier und Umweltministerin Priska Hinz haben für den morgigen Freitag die Verkündung von politischen Konsequenzen angekündigt. Angesichts der großen Schäden fordert der NABU eine umfassendere Waldschutzstrategie. Sie müsse aus drei Säulen bestehen: „Eine Anpassung an den Klimawandel verlangt neben Waldneugründungen auch den Schutz von Waldgebieten und die Waldstabilisierung“, so Mark Harthun, Waldexperte des NABU Hessen. Wichtiger als Aufforstungen sei die Vorsorge gegen weitere Waldschäden. „Die allgemeine Ratlosigkeit lässt sich nur mit der Beobachtung natürlicher Waldentwicklung beheben“, so der NABU. Vom Land erwarten die Naturschützer ein klares Bekenntnis dazu, dass im Staatswald künftig die Walderhaltung Priorität vor der Gewinnerzielung erhält. Öffentliches Geld dürfe zudem an Waldbesitzer nur für öffentliche Leistungen gezahlt werden. Voraussetzung für Subventionen für private Waldbesitzer müsse eine Bewirtschaftung des Betriebs nach dem FSC-Standard sein. Nach diesem Standard werden auch der hessische Staatswald und einige Kommunalwälder bewirtschaftet.
Nach Auffassung des NABU sind acht große Klimaschutzwälder auszuweisen, in denen eine natürliche Waldentwicklung zugelassen wird. Hier solle weder gepflanzt noch gepflegt oder Holz eingeschlagen werden. Sie sollten künftig als Vergleichsgebiete dienen, in denen beobachtet werden kann, welche Baumarten in Zukunft noch stabile Wälder bilden können. Die Erkenntnisse können dann auf die bewirtschafteten Wälder übertragen werden. Die Klimaschutzwälder sollten insgesamt 9.600 Hektar Fläche einnehmen. So würden sie gleichzeitig zum Ziel des Koalitionsvertrages beitragen, dass sich 5 Prozent des hessischen Waldes natürlich entwickeln sollen.
Eine Waldstabilisierung müsse über eine sanftere Holznutzung erfolgen. „Mit geringeren Nutzungsansätzen muss die Holzernte gestreckt und radikale Einschläge verhindert werden“, so Harthun. Denn Schäden an den Buchen seien vor allem dort zu beobachten, wo sie durch starke Holzernte freigestellt und Sonne, Wind und Trockenheit schutzlos ausgeliefert wurden. Der von der Umweltministerin angekündigte Einschlagsverzicht bis zum Jahresende reiche nicht aus. „Der Klimawandel geht im nächsten Jahr weiter, daher brauchen wir langfristig verminderte Einschläge“, so der NABU.
Bei Waldneugründungen sei ganz entscheidend, dass nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholt würden. Neue Nadelholz-Monokulturen sollten ausgeschlossen sein. Priorität müsse die kostenlose automatisch aufkommende Naturverjüngung mit heimischen Baumarten haben. Nur wenn das über 5 bis 10 Jahre nicht gelinge, seien Pflanzungen notwendig. Private Waldbesitzer sollten daher nur dann eine Förderung erhalten, wenn sie nicht oder wenig aufforsten. Laut NABU verdienen sie dann Unterstützung durch Steuergeld, wenn sie Flächen mit abgestorbenen Flächen nicht leerräumen, sondern Teile des Holzes auf der Fläche belassen. Die Ernte des Schadholzes sei ohnehin häufig teurer als der Verkaufswert. Die abgestorbenen Bäume tragen dazu bei, mehr wertvollen Humus zu bilden, damit der Boden künftig mehr Feuchtigkeit halten kann und neue Bäume besser wachsen. Es sei ein Fehler, dass das Land den Bau von neuen Forstschneisen mit bis zu 70 Prozent fördere. Unterstützung verdienten gerade Waldbesitzer, die keine Schneisen schlagen und mit wenig Maschineneinsatz zum Schutz des Bodens beitragen.
Hintergrund
Als Klimaschutzwälder kommen Gebiete in Frage, die mindestens 1.000 Hektar groß sind, das entspricht der Hälfte des Frankfurter Flughafens. Erst ab dieser Größe ist eine Verschiebung von Arten über mehrere Höhenzonen, von Südhängen auf Nordhänge und von flachgründigen Lagen auf tiefgründige Lagen im Klimawandel möglich. Mit der Streuung von acht Gebieten über das ganze Land werden zudem verschiedene Gesteins- und Bodentypen repräsentativ abgedeckt. Bei den vorgeschlagenen Klimaschutzwäldern sind insbesondere montane Wälder wie die Taunushöhen, der Oberwald im Vogelsberg und der Diedensberg im Rothaargebirge sowie eichenreiche Wälder enthalten, da die Eiche weniger empfindlich gegen Trockenheit ist und vermutlich künftig größere Rolle in unseren Wäldern einnehmen wird.
Das Ziel einer natürlichen Waldentwicklung auf 5 Prozent des hessischen Waldes bis 2020 wurde in der Hessischen Biodiversitätsstrategie und im Koalitionsvertrag vereinbart. Bisher wurden aber erst 3,8 Prozent erreicht. Mit den vorgeschlagenen Klimaschutzwäldern auf 9.600 Hektar könnten die fehlenden 1,2 Prozent der Waldfläche erreicht werden. Angesichts sterbender Wälder auf allein 2,2 Prozent in nur einem Sommer sollte diese geschützte Waldfläche ein Minimum sein.
Waldneugründungen durch Pflanzungen sind nicht nur sehr teuer, sondern auch riskant. Die Setzlinge können im nächsten Sommer wieder vertrocknen, von Wild abgefressen werden oder sich auch erst in Jahrzehnten als Fehlbestockung erweisen, wie heute die nicht standortgerechten Fichten. Da es derzeit selbst bei zahlreichen einheimischen Baumarten Schäden gibt, sind auch Forstexperten im Moment ratlos, welche Bäume sie überhaupt pflanzen und fördern sollen. Jede forstliche Pflege kann auch eine jahrzehntelange Fehlsteuerung sein, wie sich aktuell an der Fichte zeigt. Am sichersten ist eine Strategie, die auf Gehölze setzt, die von Natur aus wachsen. Der FSC-Standard verlangt die Förderung natürlicher Waldgesellschaften. Er gilt bei Naturschützern als forstlicher Mindeststandart.
PM: NABU (LM)