Mehr Schein als Sein?
Die „deutsche“ Sammelklage im VW-Skandal
Jülich, Juli 2016. Aus juristischer Sicht nimmt der Abgasskandal bei Volkswagen erst jetzt richtig Fahrt auf. Inzwischen haben mehrere erst-instanzliche Urteile eine erfolgreiche, prozessuale Durchsetzung etwaiger Ansprüche bestätigt, aber auch Anwaltskanzleien unter der Schirmherrschaft amerikanischer Kollegen sowie eine niederländische Stiftung kämpfen für das Recht der Betroffenen – mit Hilfe des Konstrukts der Sammelklage. Was bringt eine Sammelklage in Deutschland und welche Chancen auf Erfolg gibt es? Der Rechtsexperte Markus Mingers klärt auf:
Ist die Sammelklage in Deutschland durch die Hintertür eine gute Idee?
Fakt ist, dass es in Deutschland – anders als in den USA – das Verfahren einer Sammelklage bis auf eine enge Ausnahme im Anlegerrecht nicht gibt. Das hat seine guten Gründe und soll auch so bleiben. „Zwar ist es generell schwierig, jeden Schaden individuell beweisen und substantiiert darlegen zu müssen, doch zeigen die ersten bereits ergangenen Urteile, dass sich der Kampf lohnt“, betont Mingers. Denn, so Mingers weiter: „Die Richter haben nicht nur entschieden, dass Schadensersatz geleistet werden müsse, sondern haben sogar ein Recht auf vollständige Rückabwicklung bejaht. Damit steht den Klägern gegen Rückgabe des manipulierten Fahrzeugs die Rückerstattung des gesamten Kaufpreises nebst Zinsen zu. Hoffnungen auf einen ähnlichen finanziellen Mehrwert für Kunden haben auch Kanzleien, die eine Art Sammelklage für ihre Kunden verfolgen. Ohne Kostenrisiko soll man sich dabei auf Seiten wie „my-right.de“ registrieren und vom Verhandlungsgeschick der Anwälte profitieren. Ausgegebenes Ziel ist ein Vergleich mit dem VW-Konzern. Daneben findet sich auch das Modell der niederländischen Stiftung „Stichting Volkswagen Car Claim“, die seit Bekanntwerden des Skandals die Interessen vieler Betroffener vertritt. „Generell ist hier Vorsicht geboten. Denn, wie bereits beschrieben, gibt es
eine wirkliche Sammelklage in Deutschland nicht. Das heißt, dass im Zweifel keine der vorgegebenen Modelle Ansprüche vor Gericht durchsetzen kann. Darüber hinaus ist auch überhaupt nicht klar, inwieweit VW überhaupt mit den Anbietern verhandeln wird. Gezwungen sind sie dazu nämlich – anders als in den USA – nicht“, führt der Rechtsexperte aus.
Ist die angebliche Sammelklage wirklich effizient und kostenlos?
Geworben wird mit dem geringen Risiko für Kunden, die sich einer solchen Sammelklage anschließen. Und das hat seine Gründe: Zum einen werden alle Kunden pauschal in einen Pool geschmissen und ohne nähere Betrachtung des Einzelfalls in Kategorien eingeteilt, die nachher auch über eine mögliche Entschädigung entscheiden. Ob man ein Auto zum Beispiel wegen guter Abgaswerte gekauft hat, wird gar nicht berücksichtigt. Ein Klageverfahren soll auch erst dann angestrengt werden, wenn der Vergleich nicht ausreichend ist. Dann aber kann für viele Betroffene der Zeitpunkt aufgrund der Verjährung schon zu spät sein. Darüber hinaus muss man sich im Klaren sein, dass die Verfahren von amerikanischen Kanzleien initiiert werden und die Anbieter 18 bis 35 Prozent des Geldes einbehalten. Zwar kann man laut der Anbieter jederzeit aussteigen. Doch sollte man mit dem Ergebnis, beziehungsweise der Entschädigung (sofern es sie überhaupt gibt) unzufrieden sein, kostet der Ausstieg wiederum 35 Prozent Honorar. Im Fall der niederländischen Stiftung müssen dazu jegliche Ansprüche abgetreten werden.
Fazit: Lieber auf deutsches Recht vertrauen!
Das Prinzip der Sammelklage gibt es in Deutschland nicht und ist deshalb auch nicht so einfach durchsetzbar. Die Angebote mögen zwar verlockend sein, haben aber auch einige Nachteile und Unsicherheiten. „Die jüngsten Entscheidungen der Richter hingegen haben gezeigt, dass mit juristischer Expertise das deutsche Recht völlig ausreicht, um vernünftige und mit finanziellem Mehrwert verbundene Urteile für Betroffene zu erstreiten“, so Mingers.
Daher rät der Rechtsexperte: „Wenden Sie sich an einen Anwalt und schildern Sie Ihren Fall, anstatt sich einer Sammelklage anzuschließen.“
Vielen Dank für diese Stellungnahme an die Kanzlei:
(CB)