So geheim nun auch wieder nicht

So geheim nun auch wieder nicht

Das Thema ist schwierig, weil einerseits jeder etwas darüber zu wissen scheint (oder zumindest viel gehört hat), andererseits aber wenig echtes Wissen zu finden ist. Hinzu kommen Romane wie die von Dan Brown, in denen sie neben anderen sogenannten Geheimorganisationen immer wieder eine Rolle spielen, stellenweise auch selbst unterwandert werden. Wie soll ich mich unter solchen Umständen der Frage nähern, wer sie wirklich sind? Denn wenn sie im Verborgenen wirken, dann würden sie uns dies sicher nicht auf einer Informationsveranstaltung erzählen. So bleibt trotz aller Offenheit in der Diskussion doch ein kleiner Rest an Zweifeln zurück. Aber vielleicht ist das auch gut so.

Eigentlich war es eher Zufall, dass ich am vergangenen Sonntag als Besucher in der Murhardtstraße auftauchte. Im Vorfeld des Tages des offenen Denkmals am 9. September 2012 erhielt die Redaktion eine Information der Denkmalpflege Hessen, dass der Tag dieses Jahr unter dem Motto „Holz“ stehe:

„Am 9. September 2012 öffnen hessenweit anlässlich des Tages des offenen Denkmals wieder mehr als 550 Denkmäler, die sonst nicht oder nur eingeschränkt zugänglich sind, ihre Tore für alle Bürgerinnen und Bürger. Das Motto lautet ‚Holz‘ — damit steht erstmals ein Werkstoff, der bis in die Ursprünge des menschlichen Siedelns zurückreicht, im Mittelpunkt des Geschehens.“

Ein Link zur Homepage durfte nicht fehlen, und dort fand ich unter anderem eine Liste der teilnehmenden Häuser in Kassel. Fast nur Kirchen in der Stadt waren aufgeführt, und der Schlosspark Wilhelmshöhe. Alles nicht so prickelnd, denn da kann ich ja immer hingehen, dachte ich. Vielleicht war es die Ausnahme unter den vielen gleichartigen Einträgen, die meinen Blick einfing, verbunden mit der unbestrittenen Faszination für das Unbekannte: Auch die Johannisloge „Zur Freundschaft“ beteiligte sich an der Aktion.

Der Versammlungsraum ist mit Besuchern gefüllt, es müssen sogar zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden, ein Bruder verzichtet auf seinen Sitzplatz, als immer mehr Gäste hereinströmen. Brüder nennen sie sich allesamt, auch wenn sie nicht verwandt seien und auch sonst im Leben kaum Kontakt zueinander hätten. Dennoch sei es keine Bruderschaft, keine Verbindung. „Ein klares Nein!“ Hier hebt der Sprecher seine Stimme, so als ob er darauf besonderen Wert legen wolle.

Schwestern gibt es hier nicht, denn es handelt sich um eine Männerloge. Dennoch, so wird uns erklärt, sind die Partnerinnen oft und gern gesehene Gäste. Zu den sogenannten Gästeabenden können auch Interessierte eingeladen werden. Man sei eine offene Gemeinschaft, die sich nicht ausgrenzen wolle und selbstverständlich auch nicht weltfremd sei. „Unsere Wurzeln liegen in der Vergangenheit, doch leben tun wir in der Gegenwart.“ Dennoch gibt es gewisse Regeln und Rituale, an denen seit Jahrhunderten festgehalten wird. Und dazu gehört die strikte Geschlechtertrennung. Es gibt aber auch Frauenlogen, das ausgelegte Informationsblatt nennt dazu www.freimaurerinnen.de als Anlaufstelle.

Freimaurer existieren seit über 300 Jahren. Der ursprüngliche Gedanke entstand in England in den Dombauhütten. Im Zuge der Aufklärung im 18. Jahrhundert wollten die Handwerker als freie Menschen wahrgenommen werden und begannen sich zu organisieren. Von Anfang an standen humanitäre Werte im Vordergrund. Hatte ein Bruder einen Unfall auf dem Bau, so unterstützte die Loge seine Familie.

Derzeit gibt es, wie wir hörten, etwa 18.000 Freimaurer in Deutschland, weltweit ca. 3-5 Millionen. Alle Logen seien weltweit nach den gleichen Grundsätzen organisiert, die Rituale würden natürlich in der jeweiligen Landessprache, jedoch inhaltlich gleich ausgeübt. Humanität und Toleranz sind zwei Kernwerte der Freimaurer, erklärt Detlev Ruchhöft, der durch die Informationsveranstaltung führt. Scheinbar um den üblichen Vorurteilen von vorneherein entgegenzutreten, trägt er sein Namensschild deutlich sichtbar an der Brust. Auch die anderen Brüder, die die Gäste betreuen, tragen Namensschilder. Er spricht mit fester kräftiger Stimme und geht gerne und ausführlich auf die zahlreichen Fragen der Gäste ein. Wie eine Geheimorganisation sieht das eher nicht aus.

Doch zu den Ritualen äußert er sich nur oberflächlich. Diese gehören zu dem, was „diesen Raum nicht verlässt“. Diese seien zwar nicht öffentlich, aber auch nicht geheim; im Internet finde man vieles dazu. Partnerschaft und Bruderliebe, darum gehe es insbesondere, was allerdings nicht immer leicht sei. Eine Metapher wird immer wieder erwähnt, fast ebenso ritualisiert, so als ob man speziell dieses bereitwillig mit anderen teilen will: „Die Arbeit am rauhen Stein“ sei sehr wichtig, und es gehe darum, „miteinander uns zu verbessern“.

Toleranz als Kernprinzip gibt es in vielerlei Hinsicht. So hören wir, dass es weder nach Stand oder Beruf noch nach Glaubensrichtung eine Vorgabe gibt. Dennoch stehen christliche Werte ganz oben auf der Liste. Der Bewerber müsse sich zu einem Gott bekennen, aber welcher das sei und was derjenige als Gott bezeichne, sei ihm selbst überlassen. Im Grunde kann also jeder Mann ab einem Alter von 21 Jahren der Loge beitreten, „sofern die Chemie passt“. Dazu würden vorher ausführliche Gespräche geführt, damit der „Suchende“ nicht die Katze im Sack kaufe. Die Johannisloge ist zwar nach außen hin als eingetragener Verein organisiert, aber so einfach wie bei einem Gesangsverein scheint es dann doch nicht zu sein. Das ist aber auch sinnvoll, denn „in der Regel“, so Herr Ruchhöft, sei so ein Beitritt „eine Entscheidung für das restliche Leben“.

Allerdings hat die Toleranz auch klare Grenzen: Dogmen lehnen die Freimaurer rundheraus ab. „Oh, das wird der Papst aber nicht gerne hören“ tönt es aus dem Publikum. Der Bruder geht zwar nicht direkt auf die Äußerung ein, aber im weiteren Verlauf wird deutlich, dass der Zwischenrufer damit sicher Recht hat. Dennoch, so hören wir, gäbe es auch Katholiken in der Loge.

Auch einige Tabus werden erwähnt, die hauptsächlich dazu dienen, Reibungsverluste zu vermeiden: Über die Religion werde nicht geredet, denn das sei eine sehr persönliche Entscheidung. Und die Tagespolitik erwähnt der Sprecher als ein weiteres Tabu, was verständlich erscheint, wenn man sich jemals mit einem Kollegen darüber unterhalten hat. „Worüber reden Sie denn dann?“ fragt eine Dame aus der Runde. Man höre Vorträge von den eigenen Leuten oder von Gästen und diskutiere darüber. Jedem wird seine Meinung zugestanden, man nimmt die Kommunikation sehr ernst.

Nach vielen Fragen werden wir in den „Arbeitsraum“ geführt. Hier sind einige Artefakte aufgestellt, aber nicht alle, wie uns erklärt wird. Drei Säulen stehen mitten im Raum, sie stehen für Weisheit, Stärke und Schönheit. Sie sind nicht wahllos verteilt, sondern stehen an ganz bestimmten Positionen, wie mir ein anderer Besucher erklärt. Er trägt zwar kein Namensschild, aber aus seinen Worten spricht doch eine gewisse Nähe zu der Thematik. Man könne vieles in diese Symbolik hinein interpretieren, sagt er, ohne jedoch weiter ins Detail zu gehen.

Ein Bruder sei ein „Mann der Ehre“, so wurde mehrfach erklärt. Dazu mag noch eine kleine Geschichte beitragen, die das Bild gewissermaßen abrundet. Ein Bruder, der sich im Verlauf der Veranstaltung immer wieder durch kurze ergänzende Worte an die Runde beteiligte, hatte zu Beginn auf ein kleines Informationsblatt hingewiesen, das man beim Gehen gerne mitnehmen könne. Nun tritt er vor, eine gelbe Mappe fast schützend vor sich haltend, und erklärt sich mit verzagter Stimme, die in deutlichem Gegensatz zu seinem vorherigen Auftreten steht. Der unerwartete Besucheransturm habe dazu geführt, dass alle Blätter bereits vergriffen seien. Um sein Versprechen dennoch einlösen zu können, müsse er weitere Interessenten leider bitten, ihre eMail oder postalische Adresse zu hinterlassen, damit ihnen das Material zugesandt werden könne. Das Unbehagen spricht ihm aus allen Poren, aber als er zurücktritt, wirkt er erleichtert. Nicht dass es ihm persönlich irgendjemand hätte vorwerfen wollen, aber darum ging es wohl nicht. Er hatte ein Versprechen gegeben, und das wollte, ja musste er einhalten. Etwas anderes kam nicht in Frage. Ein Mann der Ehre, ein seltenes Gut in unserer schnelllebigen Zeit.

Weitere Informationen erhalten Sie auf der Homepage der Loge, www.zurfreundschaft.de

(Sf)

Sehfahrer

Als Amateurfotograf bewege ich mich oft in den Lebensbereichen anderer Menschen. So interessant das ist, so schwierig ist manchmal die Abgrenzung zwischen Neugier und höflicher Distanz. Durch meine Tätigkeit als freier Journalist versuche ich nun, Bild und Sprache zu einer Einheit zu verbinden.

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