Lasst uns das Gute tun, damit es in der Welt sei!

Eine aktuelle Werbung textet „Wir wollen keinen Eindruck schinden, wir wollen Eindruck hinterlassen“. Genau dies hat Rainald Irmscher getan. Unbewusst vielleicht, aber nachhaltig.

Rainald IrmscherWenn ein Schüler sich fast 40 Jahre nach dem Abitur noch an einen Lehrer erinnert, dann muss da etwas passiert sein, das die Zeit überdauert hat. Wenn dieser Schüler sich sogar noch wohlwollend an seinen (im doppelten Sinne) alten Lehrer erinnert, dann sagt dies viel über das Lehrer-Schüler-Verhältnis aus. Und wenn es nicht nur ein Schüler war, sondern sehr viele seiner ersten Klasse, dann hat dieser Lehrer etwas in Gang gesetzt, das sehr selten ist und das ihm wohl kaum ein Kollege gleich tun wird.

Es war eine Wahl, deren Tragweite ich damals noch nicht ermessen konnte, als ich mich für den Leistungskurs in Biologie entschied. Dabei lernte ich einen Lehrer kennen, der sein Fachgebiet nicht nur beherrschte, sondern es bereits als Referendar verstand, Begeisterung dafür zu wecken. Rainalds Euphorie für die Biologie erschöpfte sich jedoch nicht nur im Unterricht. Er setzte sich intensiv dafür ein, der Natur ihren Stellenwert in unserer Gesellschaft zu geben und zu erhalten. Seine Tätigkeit und sein unermüdlicher Einsatz für das Schulbiologiezentrum, das er in den 90er Jahren geleitet hat, werden am kommenden Montag mit einer symbolischen Baumpflanzung geehrt.

Was ist WahrheitGelegentlich stießen seine Unterrichtsmethoden auf Unmut seitens seiner Behörde. So kreativ anders sie waren, so hartnäckig wurden sie abgelehnt. Dies zehrte an seinen Nerven, und eines Tages forderte der Stress seinen Tribut. 2002, nach einem Herzinfarkt frühpensioniert, begann er den mühsamen Prozess der Heilung, bei dem ihm sein zweites Hauptfach, die Kunst, sehr zu pass kam. Als „Pachizefalos“ (Herkunft des Namens) kreierte er Werke, die eine direkte Aufarbeitung seiner Gewordenheit beinhalteten. Die Erziehungsmethoden kritisierend schuf er halb abstrakte, halb reale Bilder, die er mit Sprüchen unterschrieb, die zum Nachdenken anregen sollten. „Schule ist keine artgerechte Haltung junger Menschen“ bringt seine Einstellung zum Frontalunterricht auf den Punkt. Seit langem bin ich der Überzeugung, dass das Selbstwertgefühl eines Schülers nicht allein auf guten Noten basieren sollte. Nun weiß ich, wo diese Einstellung vermutlich ihren Ursprung hat.

Seine eigene Website ist eine nahezu unerschöpfliche Sammlung von Sprüchen und eigenen Kunstwerken und wird der Nachwelt hoffentlich noch lange erhalten bleiben. „Ein Grashalm wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“ ist ein Spruch, der mir am besten davon gefällt, und den ich als Titel einer Berichterstattung über eine Ausstellung im Cafe Buchoase wählte. Die documenta 13 letztlich gab ihm die Gelegenheit, im Rahmen der Gruppe „critical arts ensemble“ seine Werke auch einem größeren kunstinteressierten Publikum zu zeigen (Winning Hearts and Minds, Pachizefalos). Unter dem Motto „Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit“ stellte er althergebrachte Erziehungsmethoden in Frage, die in der heutigen Zeit eigentlich nicht mehr angewendet werden sollten.

Auch den grundsätzlichen Tenor vieler Religionen, „der Mensch ist schlecht, wir müssen ihn zum Guten zwingen“, kritisierte er scharf. Er war kein Mitglied einer Kirche oder Glaubensgemeinschaft, dennoch vielleicht feinfühliger und großherziger als so mancher regelmäßige Kirchgänger. Nächstenliebe war für ihn kein Fremdwort, sondern ein inneres Bedürfnis. So wundert es nicht, dass ihm dies durch den evangelischen Pfarrer Leppin mit einer sehr gut auf die vielseitige und vielschichtige Persönlichkeit von Rainald Irmscher eingehenden Trauerrede gedankt wurde, ganz im Sinne von Rumi: „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Da treffen wir uns.“

Ja, manche Menschen hinterlassen Eindruck. Manche im Boden, und manche in der Seele. Rainald Irmscher gelang in der Tat beides.

Die Baumpflanzung findet am Montag, 4. Mai 2015 um 14 Uhr im Schulbiologiezentrum im Botanischen Garten, Bosestraße 15, 34121 Kassel, statt. Gäste sind selbstverständlich willkommen.

Sehfahrer

Als Amateurfotograf bewege ich mich oft in den Lebensbereichen anderer Menschen. So interessant das ist, so schwierig ist manchmal die Abgrenzung zwischen Neugier und höflicher Distanz. Durch meine Tätigkeit als freier Journalist versuche ich nun, Bild und Sprache zu einer Einheit zu verbinden.

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