20 Jahre Kooperation TSV 1850/09 Korbach e.V. und DOSB-Bundesprogramm „Integration durch Sport“
„Manchmal ist es wie im Film: das wirkliche Leben spielt einem die Zufälle wie einen Spielball zu. Ähnlich erging es dem Verfasser dieser Zeilen, als er Reinhard Jassmann, den mehrmaligen Hessenmeister, deutschen Meister und Teilnehmer bei Europameisterschaften zum ersten Mal im September 2001 gegenüberstand.
Der Chef-Trainer suchte schon länger nach der zündenden Idee und einer Unterstützung, um die Jugendarbeit in der Boxsportabteilung seines Sportvereins TSV 1850/09 Korbach e.V. wieder aufleben zu lassen – und Sportkoordinator
Peter Schreiber, Sportjugend Hessen e.V., nach geeigneten Kooperationspartnern für das vom Bundesinnenministerium aufgelegte Programm „Integration durch Sport“.
Innerhalb eines zwanglosen Gesprächs reifte recht schnell die Idee, ein offenes Boxsportangebot zunächst in Korbach aufzubauen, wobei insbesondere die Kinder und Jugendlichen angesprochen werden sollten,
die in der Regel ihre Freizeit auf der Straße verbringen – mit all den hinreichend bekannten negativen Folgeerscheinungen, die die Angebote der offenen Jugendarbeit nicht erreicht,
die aufgrund sprachlicher, kultureller oder sozialer Benachteiligung keinen Zugang zum organisierten Sport haben oder junge Heranwachsende sind, die sich mit ihrer sportlichen Interessenlage in einem Sportverein nicht angenommen fühlen, für eine bewegungsorientierte Freizeitgestaltung im besten Sinne des Wortes gleichwohl empfänglich sind.
Letztendlich haben wir uns damals wie heute zum Ziel gesetzt, Menschen unterschiedlichster Herkunft mit hier Geborenen über das Medium Sport zusammen zu führen und damit Integration nachhaltig anzustoßen – ein sich über Jahre erstreckender Prozess, der nicht verordnet werden kann, der gegenseitiges Geben und Nehmen verlangt, der vom hohen Engagement des Trainers und des Sportvereins getragen wird.
So starteten wir im Frühjahr 2002 mit zwei so genannten Offenen Boxsportgruppen in Korbach und Bad Arolsen. Junge Menschen jeglicher Herkunft (zu Anfang nur männlichen Geschlechts), insbesondere junge Spätaussiedler und ausländische Jugendliche trafen sich anfangs einmal in der Woche mit Einheimischen, um miteinander zwanglos und ohne obligatorische Bindung an einen Verein zu laufen, zu schwitzen, Kondition zu bolzen. Die Jungs waren nach dem Training so fertig und zufrieden zugleich, dass sie ihre überschüssige Energie, angestaute Aggressionen zuweilen, nicht mehr an wehrlosen Passanten oder leblosem Material abarbeiteten.
Diese Art, die Teilnehmer ganz bewußt in Grund und Boden zu trainieren, stärkt nebenbei das Selbstwertgefühl („Ich kann was leisten und habe durchgehalten“), den Respekt vor dem Anderen („Der da drüben wird genauso hart rangenommen, der hat was drauf, obwohl er Ausländer ist“) und das Gruppengefühl („Alle machen dasselbe und das machen wir gut, der Trainer ist mit uns zufrieden“).
Das so genannte „Offene Sportangebot“ bietet die Chance, ohne Verpflichtung unter breitensportlichen oder Fitnessaspekten boxen zu können, sich selbst zu testen, andere Menschen kennen zu lernen oder einfach eine Auszeit zu nehmen, wenn der Schul- oder Ausbildungsstress zu groß wird.
Es kann festgehalten werden, dass der Zulauf an Interessierten nach wie vor ungebrochen groß ist. Das hängt nicht unwesentlich mit dem neuerlich guten Ruf des Boxsports und dem Trend zum Fitness-Boxen für spezielle Gruppen wie Mädchen und Frauen, für Junggebliebene/Ältere, ja sogar für Menschen mit Handicap zusammen.
Bis zum heutigen Tag stellt sich die Zusammenarbeit der Partner Sportverein und Bundesprogramm, in Person von Reinhard und Peter, zusammenfassend als Gewinn auf allen Ebenen heraus:
junge Menschen jeden Geschlechts und Alters sowie unterschiedlicher Herkunft finden im Sport zusammen – das ist der Startschuss für gelingende Integration, wie sie die Bundesregierung propagiert, umgesetzt über den organisierten Sport an sozial Benachteiligte und Einheimische;
interkulturelle Begegnungen, vorurteils- und spannungsfrei, ergeben sich wie selbstverständlich, weil alle das Gleiche wollen;
gewalt- und sozialpräventiv : die Jugendlichen sind `runter von der Straße, lassen ihre Kräfte nicht an Personen oder Gegenständen aus, werden für ihr unauffälliges Verhalten allgemein positiver gesehen, was wiederum wichtig für das Selbstvertrauen, die eigene Identitätsfindung und die Suche nach ihrer Position in unserer Gesellschaft ist;
Breiten- und Leistungssport, körperliche Fitness, eine bewegungsorientierte Freizeit und der Fun-Faktor – das passt gut zusammen.
Schließlich noch diese Anmerkung: was den Zulauf der Box-Eleven aus aller Herren Länder letztendlich ausmacht, ist die persönliche Ansprache und Individualbetreuung durch die Trainer und das gemeinsame Auftreten der Boxsportler nach außen, z.B. mit einheitlichen T-Shirts der Mädchen- und Frauen-Boxsportgruppe.
Die interkulturellen Begegnungen im Training und die Unmittelbarkeit körperlichen Erlebens erleichtern die Annäherung untereinander. Egal, wie die/der Andere aussieht, welchem Kulturkreis sie/er angehört, welche Sprache sie/er spricht: gemeinsam erlebte Erfolge, Niederlagen und Emotionen schaffen ein Gefühl des dazu Gehörens, das viele Neu- und Altbürger*innen z.T. erstmalig in Deutschland erleben dürfen.
Und das neueste Projekt Mädchen- und Frauenboxen-Sportgruppe ist auch schon drei Jahre (!) am Start.“
(Verfasser: Peter Schreiber)