Undenkbares denkbar machen

Mit einem selbsterdachten und selbstgemixten Cocktail* im Freien sitzen und auf dem Tablet einen Blogeintrag zu schreiben, das können vermutlich nur wenige von sich behaupten. In Aleppo wäre das, als ich diesen Artikel schrieb, kaum möglich gewesen (August 2016).

Milchstraße
Quelle: skeeze, Pixabay

Wo und wie schreiben andere Blogger eigentlich ihre Artikel? Das würde mich nun doch mal interessieren. Nachdem inzwischen fast überall Internet verfügbar ist, bereitet es kaum noch Probleme, mitten in der Natur „online“ zu gehen. WLAN überall, sogar im Wald: Wald-LAN. Offline vom gesellschaftlichen Leben und dennoch voll dabei, permanent verbunden mit dem Leben, dem Universum … und einfach allem. Da kann man ruhig auch im Teutoburger Wald einen Artikel über Hermann schreiben, wo auch immer diese Legende nun gelebt hat. Die Externsteine im Blick tippselt es sich leichter über historische Wahrheiten. Aber nicht nur länger zurückliegende Wahrheiten sind interessant.

Ein Punkt dabei ist die (später vielleicht einmal historische) Wahrheit, dass die CDU inzwischen offen über Grenzen nachdenkt, die noch vor Jahr und Tag als „undenkbar“ dargestellt wurden. Als undenkbar, ja unaussprechlich, wurden die Dinge bezeichnet, als die AfD diese von sich gab, nachdem sie sich von einer reinen Anti-Euro-Partei zu einer … anderen Partei gewandelt hatte. Ich formuliere das bewusst wertneutral, weil ich hier keine politischen Auseinandersetzungen lostreten will.

So schlimm war das für die „etablierten“ Parteien, dass sie Begriffe wie „rechtspopulistisch“ dafür verwendeten. Doch heute, wo dieselben Ideen von CDU-Politikern geäußert werden, ist das natürlich etwas gaaaanz anderes. Wir sehen, es geht nie um die Sache! Quod licet Jovi, non licet bovi! (Erläuterung)

Grenzen

Da ist zum einen die Grenze der Bekleidung, das Burkaverbot. Zwar habe ich vor wenigen Tagen seit langer Zeit überhaupt mal wieder zwei Lebewesen mit Vollverkleidung gesehen, aber für manche Leute sind diese Aliens ein echtes Problem. Ich kann sie nicht „Frauen“ nennen, denn im Grunde kann ich das gar nicht beurteilen; ich sehe nur die Hülle, nicht mal die Form (welche gewisse Rückschlüsse zulassen würde). Sie könnten in Wahrheit tatsächlich Aliens sein, Besucher aus dem Weltraum, und was ich als Kleidung zu erkennen glaube, könnte für den erfahrenen Blick eines „Man in Black“ die natürliche Epidermis eines Vorlonen sein. Egal was es ist: Wenn sowas erlaubt ist, müsste konsequenterweise auch das Vermummungsverbot bei Versammlungen aufgehoben werden, denn „vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich“. Man stelle sich eine Versammlung vor, bei der sich Musliminnen aus religiösen Gründen vollständig bedecken dürften, aber dem Nicht-Muslimen schon die Sturmhaube zum Verhängnis wird. Das wäre ungerecht. Aber soweit denkt kaum jemand.

Dann ist da die Grenze der Grenzsicherung. Es scheint kein Problem mehr zu sein, dass ein Politiker die Polizei massiv aufstocken will, „sogar schon in den nächsten Jahren“ (ein ohnehin sinnloses Wort-Geplänkel, wenn man bedenkt, dass allein die Ausbildung schon einige Jahre dauern wird, und geschaffene Planstellen noch lange keine Erhöhung des tatsächlichen Zahl an Personal sind). Damals war es schlicht „böse“, dass jemand die Ansicht vertrat, man müsse die Grenzen besser sichern, „notfalls mit (Waffen-) Gewalt“ (wie Frauke Petry auf hartnäckiges Befragen seitens eines Medienvertreters sagte).

„Undenkbar“, das ist in der Tat ein seltsames Wort, wird es doch in erster Linie von denen ausgesprochen, die einem das Denken am liebsten verbieten würden, für sich selbst dieses Grundrecht jedoch entschieden verteidigen. Diese haben sicher längst intensiv über das vermeintlich „undenkbare“ nachgedacht, denn ansonsten könnten sie kaum eine solches Wort erfinden und den Sachverhalt mit hinreichendem Nachdruck behaupten. Man wähnt sich fast im Orwellschen Universum, in dem bestimmte Wortkombinationen als „unsprechbar“ bezeichnet wurden. Newspeak lässt grüßen.

Wenn Vergangenheit nicht vergangen ist

„Was heute noch wie ein Märchen klingt, kann morgen schon Wirklichkeit sein! Hier ist ein Märchen von Übermorgen: Es gibt keine Nationalstaaten mehr, …“ so begann 1966 der Vorspann der Mini-SF-Serie „Raumpatrouille“, der Geschichte des Raumschiffes Orion und seiner Besatzung unter einem wegen einiger Verstöße gegen Befehle strafversetzten Kommandanten. Die Serie erzählte von einer Zeit, in der die Menschheit geeint ist und die vergangenen Probleme überwunden hat, und dennoch scheint sie wieder in der alten Falle gefangen zu sein, dass Fremde daher kommen und die Erde erobern wollen. Ist das vielleicht ein Naturgesetz? Egal was wir geschafft haben, es kommt immer ein neuer Feind, der unsere Standhaftigkeit auf die Probe stellt?

Wenn das so ist, dann wird es wohl nötig sein, dass wir die Demokratie und die Meinungsfreiheit verteidigen, gegen innere wie äußere Feinde. Lassen wir uns nicht von anderen den Mund verbieten, nicht von Politikern, nicht von Andersdenkenden und vor allem nicht von Andersgläubigen, wenn diese selbst sich nicht den gleichen Maulkorb ebenfalls umhängen.

Nachdenken

Es ist dunkel. Am Himmel erscheint ein heller Fleck inmitten der Dunkelheit. Er sieht aus wie eine von der Sonne angestrahlte weiße Wolke, wunderschön in all ihrer Pracht. Doch dann, als der Halbmond in diesem hellen Fleck zum Vorschein kommt, entpuppt sich die Wolke als Loch in einem Feld dunkler Wolken, welche alsbald den Mond wieder hinter sich verdecken. Das Blau des Himmels gewohnt neigt der Geist dazu, das dunkle Blau des Firmaments für den freien Himmel zu halten und den hellen Fleck für eine Wolke. Doch heute ist es genau umgekehrt. Manchmal führt uns die Welt in die Irre, unser Blick erkennt vermeintlich bekanntes und verkennt die Änderungen.

Der Verkehrslärm ist weitgehend verstummt, nur ab und an tönt noch eine Feuerwehrsirene durch die Nacht. In der Ferne erklingt Musik. Irgendeine Feier, weit entfernt, doch durch die Klarheit der Nacht scheinbar gleich nebenan. Volksmusik und Reggae, eine seltsame Kombination. Wie das letzte Fest in „Matrix“. Sie feiern den Sieg, den sie niemals erringen können, noch je erringen werden.

Vielleicht sind die Zeiten des Friedens gar nicht die Normalität, das Leben in Wahrheit ein ständiges Auf und Ab. „Krieg ist Frieden, Sklaverei ist Freiheit“, so hieß es bei Orwell. Vielleicht ist es unser Schicksal, für unser Glück jeden Tag auf’s Neue kämpfen zu müssen. Mit dem Geist und der Wahrheit, mit Worten und mit der Tat, notfalls auch mit dem Schwert. Wenn möglich in dieser Reihenfolge, Abkürzungen denkbar.

Die Helden unserer Zeit sind namenlos. Sie bestehen aus all denen, die den Kopf behalten, die wachen Geistes durch die Lande streifen und Frieden stiften. Sie schreien weder „allahu akhbar“ noch „Gott ist groß“, „Buddha ist alles“ oder „Brahmaputra rulez“. Diese Helden sind immens wichtig, doch kaum einer wird sich je an sie erinnern.

Jeder Blick auf die Milchstraße sollte uns jede Nacht aufs Neue davon überzeugen, dass wir uns selbst manchmal einfach viel zu wichtig nehmen. Gemessen am Universum sind wir fast nichts.

 

* No Name
Eiswürfel in ein Longdrink-Glas
4 cl Havana Club 3jährig
6 cl Lillet Blanc
mit Ginger Ale auffüllen
mit Strohhalm servieren

Christoph Jüngling

Ich bin seit über 25 Jahren selbständiger Softwareentwickler und IT-Berater. Für die Nordhessen-Rundschau schreibe ich unter anderem über IT-relevante Themen mit der Hoffnung, die Hintergründe auch für Laien verständlich zu machen. Denn besonders in der IT-Welt gilt: "Nichts ist so, wie es scheint."

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